Eine Lektion in Demut

(Ein etwas älterer Textbeitrag aus dem früheren “Praktischen Survival-Magazin”)


Heute früh war ich einkaufen. Es war ziemlich voll. Lange Schlangen vor den Kassen und wieder mal nur zwei Stück auf. Ein Mann brüllte von hinten: »Machen se endlich mal ‘ne Kasse auf!« Hinter mir stand eine ältere Dame, so um die sechzig. Als ich mich umdrehte um die Warteschlange zu begutachten, nahm sie gleich die Gelegenheit wahr mit mir ein Gespräch zu beginnen: »Also wirklich«, ereiferte sie sich und schüttelte erbost den Kopf, »wo gibt’s denn sowas. Soo vieele Kunden und zur zwei Kassen. Das ist doch unglaublich!«
Ich dann so: »Seien Sie doch froh, dass Sie überhaupt einen Supermarkt zum Einkaufen haben.« Sie glotzte mich auf meinen Spruch hin einfach nur etwas verständnislos an (sie hoffte offensichtlich dass ich in ihre Entrüstung mit einstimmen würde). Ich äußerte mich deshalb etwas verständlicher: »Wissen Sie, in manchen Ländern wäre man froh, wenn man überhaupt einen Laden zum Einkaufen haben würde. Und Sie regen sich wegen vier Minuten Wartezeit an der Kasse auf. Es gibt Gegenden auf dieser Welt, in denen Kinder jeden morgen 3 Kilometer für eine Kanne Trinkwasser laufen müssen.« Dann drehte ich mich um, und das Gespräch war beendet…

 

Dieser Vorfall zeigte mir, wie selbstverständlich fast alle Menschen die Annehmlichkeiten dieser Zivilisation nehmen. Sie tun gerade so, als hätten sie ein naturgegebenes Recht auf eine schnelle, unkomplizierte Vollversorgung, nur weil sie in dieses System hineingeboren wurden. Wenn die Konsumenten wieder mal 5 Minuten an der Kasse warten müssen oder die Rolltreppe ausgefallen ist, wird der Aufstand geprobt. Man droht sofort mit zorngeschwellten Halsschlagadern, sich beim Marktleiter über diese »unerhörten Umstände« zu beschweren!

Solche kleinen Unpässlichkeiten sind praktisch schon ein kleiner Weltuntergang für die meisten Menschen. Man ist gewohnt, dass in unserer Gesellschaft gefälligst alles reibungslos zu funktionieren hat.

Die Wertschätzung für die kleinen alltäglichen Dinge ist völlig verloren gegangen. Wenn jemand nur eine »nackte Glühbirne« an der Zimmerdecke hängen hat, so ist man für manche Menschen schon »ganz unten« angekommen und wird schief angeschaut ob der »armseligen Wohnungseinrichtung«. Für solche Leute steht man deswegen praktisch schon auf einer Stufe mit einem Sozialhilfeempfänger.

Ich bin im Gegensatz zu solchen Menschen glücklich, dass ich überhaupt Strom habe, eine funktionierende Glühlampe und mich nicht mit rußenden Kienspänen abmühen muss – so wie hunderte Jahre lang unsere Vorfahren. Mit dieser Einstellung kann man sich an vielen Kleinigkeiten erfreuen, die für andere selbstverständlich sind. Wir leben doch wirklich in einer grandiosen Zeit mit ihren ganzen Annehmlichkeiten.

 

Fast alle Menschen in Deutschland (und in vielen anderen Ländern) haben vergessen, wie das Leben früher war. Dass es Hungersnöte gab, dass es Kriege gab und auch mal Zeiten ohne Geld und man zwei Wochen nur dünne Suppe und hartes Brot essen musste.

Die jetzige Generation ist eine Rundumversorgung nicht nur gewöhnt – sie fordert sie sozusagen als natürliches, ihr zustehendes Recht geradezu ein. Und wenn man mal kein Geld mehr hat, hilft sofort der günstige Kredit der Sparkasse oder die praktische Ratenzahlung für den nächsten Einkauf von elektronischem Chinacrap.

Man kann sich alles leisten, wann immer man will. Notzeiten und Verzicht kennt keiner mehr, und keiner will sie je kennenlernen (was auch nicht verwunderlich ist, wer leidet schon gerne freiwillig).

Aber man sollte versuchen, ein richtiges Maß für alles zu finden. Das Problem ist, dass man heute dem geringsten sozialen Druck des Umfeldes nachgibt, um nicht als Außenseiter zu gelten. Oder gar als arm. Die Tugend der Sparsamkeit wird ja heute nicht mehr als Tugend gehandelt, sondern als eine Unterart von Idiotie. Wer sparsam lebt, dem unterstellt man wahrscheinlich »Kreditunwürdigkeit« oder geistige Unfähigkeit den Kreditvertrag ausfüllen zu können… dass diese sparsamen Menschen möglicherweise die persönliche finanzielle Freiheit einer Sklaverei bei der Bank vorziehen scheinen viele mit ihrem schnellen Werturteil nicht in Betracht zu ziehen.

 

Früh übt sich…

Schon Kinder streiten mit den Eltern um mehr Taschengeld, weil man sonst nicht die neuesten Modetrends mitmachen kann, oder sich keine Wegwerf-Schuhe der Marke XY leisten kann. Dem Gruppenzwang wird alles untergeordnet. Wer heute keine Markenklamotten trägt, gilt als Verlierer und ist dem Mobbing preisgegeben.

Es wird dabei vergessen, dass viele Kinder vor einhundert Jahren schon froh gewesen wären, wenn sie überhaupt Schuhe gehabt hätten. Ich sah vor einiger Zeit eine Dokumentation über die sogenannten »Schwabenkinder«. Das waren Kinder, die aus dem Voralpenland stammten, und als Kindersklaven auf die schwäbischen Bauernhöfe vermietet wurden. Sie mussten im Herbst oder Winter 50 bis 60 Kilometer weit laufen, bis sie auf dem Kindermarkt in Friedrichshafen oder Ravensburg an die Bauern vermittelt wurden. Ein etwa achtzigjähriger Mann erzählte, wie es ihm als Hütebub ergangen ist. Unter anderem berichtete er, wie er auch im Spätherbst barfüßig die Kühe hüten musste. Schuhe gab es keine vom geizigen Bauern (dafür aber reichlich Stockschläge). Damit seine Füße nicht abfroren, hielt er die Füße auf der Weide immer unter die warme Kuhpisse und steckte sie dann in die noch warmen Kuhfladen.

Das war seine einzige Chance, seine Zehen vor dem Abfrieren zu schützen. Ja, er wäre froh über ein Paar selbst geschnitzte, rohe Holzschuhe gewesen. Und heute jammern die Kinder, wenn ihnen die Eltern nicht ständig das neueste und hipste Modezeug kaufen können. Im späteren Leben sind diese Kinder dann auch nicht anders gepolt. Diese Gesellschaft hat dann irgendwann keine Wertschätzung mehr für die einfachsten Dinge im Leben, weil die Eltern schon kläglich versagt haben, den Kindern die richtigen Werte zu vermitteln.

Die soziale Eigendynamik solcher Umstände ist kaum aufzuhalten, und es gehört eine gehörige Portion Selbstvertrauen und Mut dazu, aus eigenem Entschluss nicht jeden Mist mitzumachen, und auch mal ein paar Hosen, Schuhe und Hemden fünf oder zehn Jahre lang aufzutragen bis sie auseinanderfallen.

 

Es fehlt an Demut und Dankbarkeit, dass eine erdöl- und erdgasbefeuerte Technisierung uns ein so luxuriöses Leben (welches ausschließlich auf Ausbeutung und Krieg fußt) ermöglicht. Es wird alles als selbstverständlich genommen. Wenn irgendwo am anderen Ende der Welt für »Ein-Euro-T-Shirts« die Umwelt versaut wird und die Näherinnen wie Dreckssklavinnen gehalten werden – wen interessiert das schon beim Einkauf! Hauptsache bunt, billig, und jederzeit verfügbar. Und wenn die Klamotte nicht mehr gefällt oder ein kleines Loch hat, dann schmeißt man das Ding eben weg und kauft sich wieder einen neuen Schund beim nächsten Ramschladen. Dass es Nadel, Faden und Flicken gibt, daran denkt heute niemand mehr. Der eigenen Unfähigkeit solche Reparaturen auszuführen wird ein banales »das rentiert ja gar nicht mehr« oder »ich habe keine Zeit dafür« vorgeschoben.

 

Oder auch so ein typischer Fall: es wird beim Elternabend wieder mal thematisiert, dass der Schulranzen für den armen Bub ein Viertelpfund zu schwer ist und die Schule eigentlich viel zu früh los geht. Der Junior ist nämlich morgens um Acht immer so blass und müde! Ja verflucht nochmal, seid doch froh, dass ihr überhaupt Zugang zu einem kostenfreien Bildungssystem habt!
Irgendwo anders auf der Welt müssen die Kinder einen halben Tag durch den Urwald laufen, um Schreiben, Lesen und Rechnen lernen zu dürfen. Und dafür müssen die Eltern sich noch Schulgeld vom Mund absparen.
Es ist auch immer so lustig, dass man sich über einen 5 Kilo schweren Schulranzen ereifert – weil das macht ja den Rücken der armen Kinder krumm und so –  aber dass das eigene Kind sich schon gut und gerne zehn Kilo Übergewicht mit Burgern und Softdrinks auf die Rippen gefuttert hat – diese Tatsache ignoriert man geflissentlich!

Diese Gesellschaft müsste die glücklichste auf Erden sein, wenn solche Themen ernsthaft diskutiert werden!

 

Eine Zukunft in Krisenzeiten gibt es nur für die Anpassungsfähigen

Die kommende Krise wird der westlichen Welt eine bittere Lektion erteilen. Eine Lektion in Demut. Man wird dankbar für sauberes Trinkwasser sein, dankbar für ein Stück Kohle oder Holz im Ofen, man einer wird sich über eine alte Wollmütze und stundenweise Strom freuen.

Eines Tages wird das Leben komplett um 180° gedreht werden. Man wird sich »mit wenig bis garnix« zufrieden geben müssen. Das wird eine harte Schule für viele Menschen werden.

Die Überflussgesellschaft wird eines Tages ein jähes Ende finden. Wer keine praktischen Fähigkeiten hat oder etwas sinnvolles für andere anzubieten hat, für den wird es extrem hart werden. Alle Berufszweige und völlig nutzlosen Berufe, die am Tropf eines aufgeblähten Schuldensystems hängen, werden wegfallen. Sie werden praktisch über Nacht nutzlos. Das wird dann wieder – im wahrsten Sinne des Wortes! – eine »brotlose Kunst« werden.

Sich auf einen stetig sinkenden Lebensstandard einzustellen, wird vielen Menschen schwerfallen. Und doch gibt es keinen Ausweg daraus, außer sich damit abzufinden und das Beste daraus zu machen.

Entweder man kommt dann damit schnell zurecht, oder eben nicht.
Demut und Dankbarkeit gegenüber einfachsten Dingen wird wieder einkehren müssen.
Es werden die ganz einfachen Dinge sein, die wir wieder schätzen lernen werden.

Denn lernen durch Schmerz ist wichtig und nötig.