Mikkel Hindhede und Dänemark im 1. Weltkrieg

Mir ist bewusst, dass wir nicht mehr das Jahr 1917 schreiben und auch noch kein Krieg bei uns vor Ort stattfindet. Dennoch scheint es lehrreich angesichts der kommenden Lebensmittelverknappung im Zuge der sich allgemein entfaltenden Krisen zu wissen, wie man vor einhundert Jahren handelte als ähnliche Probleme herrschten. Während damals die deutschen Politiker bei der Nahrungsmittelversorgung so ziemlich alles falsch gemacht haben was man nur falsch machen kann (das systematische Versagen ist also keine Neuigkeit) ging Dänemark einen Weg der diesem kleinen Land sogar Vorteile brachte.

Auf Hindhede hatte ich schon an anderer Stelle kurz hingewiesen.

Im folgenden ein Originalbericht von ihm als Abschrift:


 

»Mit dem Eintritt der vollständigen Blockade im Februar 1917 kam auch Dänemark in eine sehr bedenkliche Lage. Wir pflegten bis dahin 40 Prozent der für Mensch und Tier nötigen Nahrungsmittel aus dem Ausland zu beziehen. Dazu kam 1917 infolge der Dürre ein Ernteausfall von 30 Prozent. Angesichts dieser Schwierigkeiten berief die dänische Regierung einen Ausschuss von 8 Sachverständigen und stellte ihm die Aufgabe, zu ermitteln, wie unsere Ernte am besten einzuteilen sei, um in erster Reihe die Menschen ausreichend zu ernähren. Ich war zu meiner großen Freude einer von den Berufenen. Nichts war leichter, als die gestellte Aufgabe zu lösen, wenn man nur die von mir seit vielen Jahren praktisch verfochtenen Grundsätze befolgen wollte. Und das tat man einmütig: Verhinderung des Alkoholgenusses und Ernährung in erster Reihe mit Pflanzenstoffen und Milch. Meine langjährigen Ernährungsversuche hatten z. B. ergeben, dass man Jahr und Tag ausschließlich von Kartoffeln und Margarine oder ausschließlich von Gerstengrütze, Zucker und Margarine sich ernähren und sich des besten Wohlseins und größter Leistungsfähigkeit erfreuen kann. Und Gerste und Kartoffeln hatten wir 1917 gerade noch genügend geerntet, wenn wir keinen Missbrauch damit trieben, d. h. diese so wertvollen menschlichen Nahrungsmittel den Schweinen, Schnapsbrennern und Bierbrauern gaben. Das verhinderte die Regierung, indem sie die Schweinehaltung auf ein Fünftel einschränkte, die Erzeugung von Trinkbranntwein verbot und die Biererzeugung auf die Hälfte herabsetzte. Und die Bevölkerung fand sich damit ohne weiteres ab, indem sie das »Entweder – Oder« einsah. Aus den noch vorhandenen Lagerbeständen an Schnaps wurden bis auf weiteres monatlich hunderttausend Flaschen freigegeben. So kam auf den Kopf und Monat ein Schnaps. Dieser war aber so teuer, dass ihn nur die Wohlhabenden kauften. Diese ganze Rationierung wurde mit einem Schlage durchgeführt.

Wie hat nun dieser Notbehelf gewirkt? Ich berichte hier nur über das Jahr vom 1. 10. 1917 bis 30. 9. 1918. Der Branntweinverbrauch fiel von 9 auf 0,4 Liter je Kopf und Jahr, der Bierverbrauch von 33 auf 21 Liter viel schwächeren Bieres. Gleichzeitig ging die Zahl der Verhaftungen wegen Trunkenheit auf ein Fünftel zurück; der Säuferwahnsinn verschwand und es sanken in Kopenhagen auf je hunderttausend erwachsene Männer die Todesfälle an Alkoholismus von 60 auf 1. Jedoch es geht noch weiter: die Zahl der tödlichen Unfälle geht auf die Hälfte zurück, ebenso die Todesfälle an Lungenentzündung und Gehirnkrankheiten; – ob jemand an Lungenentzündung stirbt, hängt nämlich wesentlich von seinem früheren Alkoholverbrauch ab. Was schließlich die Zahl der Selbstmorde betrifft, so verringerte sie sich auf ein Drittel. – Alle obengenannten Todesursachen nahmen in diesem Jahreszeitraum um 57 Prozent ab. Die Sterblichkeit an Alkoholismus ist geradezu ein Barometer für die Sterblichkeit überhaupt. So haben wir in dem genannten Jahre in Dänemark – es hat ungefähr soviel Einwohner wie Groß-Berlin – 60 000 Menschen das Leben gerettet, indem wir mehr Kartoffeln und Gerstengrütze als sonst aßen und Wasser dazu tranken; und eine halbe Milliarde Kronen haben wir auch noch gespart. Alles in allem: dies ist der Weg, um billig Menschenleben zu retten. Es ist auch das Gute hierbei, dass alle diese Zahlen nicht wegerklärt bzw. weggelogen werden können; sie sprechen eben für sich selbst.

Und was geschieht nun nach Beendigung der Rationierung? Im Laufe des darauffolgenden Jahres stieg der Branntweinverbrauch auf 2 Liter für den Kopf, und der Bierverbrauch auf 49 Liter. Und mit diesen steigenden Zahlen hielt die Sterblichkeitsziffer gleichen Schritt nach oben. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika ist genau das gleiche festgestellt worden. Allerdings hörte man hier und da von einem Fiasko des Alkoholverbots in Amerika reden; aber Amerika liegt ja so schön weit ab; über Amerika kann man so schön lügen.

Was Dänemark und Amerika auf diesem Lebensgebiet einwandfrei festgestellt haben, lässt sich für den Staat am besten in diesen Satz fassen: Beherrsche die Alkoholerzeugung, und du beherrschest in weitgehendem Maße den Tod. Und der einzelne sollte sich leiblich und seelisch so gesund machen, dass er nicht das geringste Bedürfnis nach Betäubungsmitteln verspürt.«

Soweit Hindhede.

 

Original: