Verlust der Wertschätzung
Heute gibt es einen Verlust der Wertschätzung für echte Werte und langfristiges Denken über Generationen hinweg. Diese Entwicklung ist allerdings nicht neu. Sie begann vor allem mit dem breiteren »Fortschrittsdenken« in den 1960er Jahren, und sie hält bis heute an.
So richtig bewusst wurde mir das, als ich vor Jahren eine Dokumentation von Dieter Wieland sah. »Grün kaputt« heißt der Film. Er dokumentiert die Vernichtung einer ehemals artenreichen Landschaft. Es wurde gezeigt, wie wertvolle Nuss- und Obstbäume reihenweise der Motorsäge und dem Bulldozer zum Opfer fielen. Dieser Film hat meinen Blick geschärft. Immer wenn ich über die Dörfer fahre, sehe ich, dass diese Entwicklung keineswegs vorüber ist. Immer noch werden prächtige Bäume gefällt. Weil das Laub lästig ist. Oder der Baum »Licht wegnimmt«. Stattdessen wird nutzloses, exotisches, immergrünes Zeug hingepflanzt. Unnütz – und hässlich obendrein diese Koniferenhecken. Kein Vogel lässt sich dort für ein Liedchen nieder. Aber auch das ist ja gewünscht. Denn die Mistviecher kacken sowieso immer das Auto voll. Am bestens gleich weg mit allem Grünzeug! Es macht ohnehin nur Arbeit! Dann doch besser asphaltieren und einen Parkplatz hinbauen. Oder einen Steingarten. Hinterm Haus am besten Rollrasen mit Robotermäher, der nicht nur Gras und Insekten, sondern auch gleich noch die lästigen Igel schreddert.
Früher erfreute man sich an jedem tragenden Apfelbaum. Jede Haselnusshecke war wertvoll, man erfreute sich an Eichhörnchen, Vogelgezwitscher und Nestern in den Baumkronen. Man pflanzte um jeden Hof Holunder, Apfel, Birne, Quitte, Nussbäume. Besonders Nussbäume waren wichtige Lieferanten von Ölen und Fetten und bestem Holz. Unsere Vorfahren dachten nicht nur in kurzfristigen Erträgen, sie haben alles auf schwere Zeiten ausgerichtet. All dies scheint vergessen. Wir leben im Überfluss: Einen Liter Sonnenblumenöl können wir jederzeit für 2.- kaufen. Sogar bis 24 Uhr nachts, wenn wir wollen. Auch Apfelsaft gibt es für nur neunundneunzig Cents. Warum also noch die Mühe machen, und selbst ernten? Schließlich gibt es doch alles im Supermarkt… und wenn mal ein Baum, wie mir mal ein Bekannter erzählte, ein »bisschen scheiße ausschaut« (denn, was könnten die Nachbarn sagen, über den vermoosten Stamm), wird mit Freuden die Motorsäge gezückt, und das lästige Ding einfach umgehauen.
Früher standen zwischen jedem Feld Hecken mit Brombeeren, Himbeeren, Mispeln, Schlehen, Weißdorn und Elsbeeren. Das Auge fand halt. Der Wind wurde gebremst. Die Vögel nisteten sich ein, und fraßen die Feldschädlinge. Die Milane und Bussarde saßen hocherhoben auf den Baumwipfeln und stürzten sich auf die Kulturschädlinge. Es gab schattige Rastplätze für die Feldarbeiter und Zugtiere. Heute findet sich nur noch triste Monokultur. Braun und grün (es ist ein hässliches Braun und hässliches Grün) reihen sich nackte Felder aneinander. Im Sommer versengt die Sonne alles Leben, es ist totenstill. Tiere finden kilometerlang keinen Unterschlupf. Bei Wind und Trockenheit wird der Boden großflächig weggeweht. Und bei Starkregen abgespült. Immer dieser böse Klimawandel aber auch!!
Es ist ein Wunder, dass die Menschen die Hässlichkeit und Zerstörung ihrer Landschaft so gleichmütig ertragen können. Kahlschlag in der Natur ist immer auch ein Kahlschlag in der Seele.
Die Wertschätzung für das Gute, Schöne und Wahre ist leider verloren gegangen.