Lob der Einfachheit (1)
Ich würde mich jetzt nicht gerade als Technologieverweigerer bezeichnen. Immerhin nutze ich wie die meisten Strom, Erdöl und Internet. Aber ich verweigere mich dem Fortschritt dann, wenn der Fortschritt mehr Ärger als Nutzen bringt.
Technologie wird ja normalerweise eingesetzt, um irgendwelche Probleme zu lösen, um das Leben leichter zu machen. Heute scheint man diesen einfachen Grundsatz aus den Augen verloren zu haben, und zwar auf breiter Front. Heute wird Fortschritt um des Fortschritts willen gemacht, nicht mehr um Probleme des Alltags zu lösen.
Meinem Gefühl nach geschah der sichtbare Umbruch irgendwann zwischen Mitte/Ende der 1990er und den 2000er Jahren. Das war die Zeit, in der Leute in die Firmen eintraten, die schon seit der Jugend mit Computern aufgewachsen waren. Bis dahin war wohl eine Generation an den Schalthebeln, die noch “analog” sozialisiert wurde und die z.B. Software wirklich nur als eine Erleichterung gegenüber mechanischer Arbeit betrachtet haben. Um hier im Verlags- und Bürobereich zu bleiben: Man wollte die Schreibmaschine und die Linotype ersetzen, und entwickelte deshalb Schreib- und DTP-Programme für den PC. Man wollte “Zettelkram” abstellen und erfand das Online-Banking und elektronische Eingabeformulare. Es wurde Wert auf Stabilität, Benutzbarkeit und Funktion gelegt, auf speicheroptimierte Programmierung und sowas Altmodisches.
Irgendwann wurde dieses Prinzip vergessen. Man wollte nicht mehr Problemlösungen anbieten, sondern die alten Programme eifrig “verbessern”, “schöner” machen, die Oberfläche stylisher gestalten. Neue Spielereien einbauen. Irgendwann tendierte alles nur noch zu minimalen Verbesserungen, die kaum einem Anwender was nützten, die Komplexität nach oben jagten, die Übersichtlichkeit extrem einschränkten, die Programme instabil machten, Dateigrößen der Programme und ausgegebenen Dateien wuchsen ins Absurde an. Unbegrenzter Speicherplatz und Rechenleistung ist ein Fluch für die gesamte Menschheit.
Vorbei die Zeiten, als man ein Programm sauber programmiert hat, und vielleicht nach 1-3 Jahren mal ein Update gemacht hat. Man will diesen Firmen schon direkt böse Absicht unterstellen Fehler absichtlich einzubauen um dann für Updates kassieren zu können welches die alten Fehler behebt und wieder vier neue einbaut…
Ich verweigere mich diesem ganzen Zirkus seit 20 Jahren, wenn immer es mir möglich ist. Und nicht, weil ich zu blöd bin neue Programme zu nutzen oder sie mir nicht leisten kann. Ich habe sie hin und wieder getestet, und sie sind in der Praxis einfach komplett durchgefallen.
Manchmal dachte ich: du bist echt so ein rückwärtsgewandter Typ, kauf halt mal neue Software für deinen Laden damit zu deine Bücher mal aufpeppen kannst um endlich in der Moderne anzukommen.
Ich wollte InDesign nutzen, kaufte eine Lizenz. Nach 1,5 Jahren sperrte Adobe das Programm und will mich zu einem monatlichen Software-Abo nötigen. Ich deinstallierte diese Erpressersoftware und meide diese Firma zukünftig. Zum Glück nicht viele Dateien damit erstellt!
(Update Juni 2024: Neue Lizenzbestimmungen von Adobe. Dringende Empfehlung: Software dieser Firma meiden.)
Ich kaufte dann den Affinity-Publisher (immerhin kein Zwangsabo), stellte aber nach Wochen fest, dass dieses Programm instabil ist und bspw. bei Dokumenten mit mehr als 80 Seiten mit Tiff-Dateien (Reprint) den Dienst verweigert und sich regelmäßig aufhängt. Und die ausgegebenen Dateigrößen abartig groß sind wenn vernünftige Qualität eingestellt ist. Vom Hersteller bekam ich nur laue Textbausteine geschickt und ich müsste eben auf zukünftige Updates warten. Nein danke, damit kann man nicht effektiv arbeiten. Ich bin kein Betatester für eure unsauber programmierten Produkte. Eigentlich solltest du diese ganzen Buden wegen gewerbsmäßigen Betrug verklagen.
Die Folge aus solchen Erfahrungen ist, dass ich weiterhin mit dem PageMaker 6.5 von 1996 arbeite. Ich habe seit dem Jahr 2000 nur einen einzigen Programmabsturz des PageMakers erlebt. Das war der Import einer komplexen Tabelle, bei dem das Programm stillstand. Ansonsten habe ich viele tausend Dateien und auch umfangreiche Dateien damit erstellt. Das Teil läuft einfach. Es macht genau das, was es soll. Nicht mehr, nicht weniger. Die Oberfläche ist aus der Steinzeit. Aber genau das sorgt für Kontrast und Stabilität. Die Programmdateien sind schlank, ebenso die ausgegebenen Dateien. Die Speichernutzung ist im Betrieb minimal. Ich brauche keine jährlichen Updates, ich brauche keinen neuen Rechner deswegen kaufen weil plötzlich für “ein wichtiges Update” auf einmal dringend “Windows 11 64 Bit” gebraucht wird. Für eine Funktion die ich sowieso nicht haben will und nie genutzt habe.
Und sowas zieht sich leider durch die gesamte Techniklandschaft. Nur weil etwas stylisher ist, ist es noch lange nicht besser. Zum Beispiel erinnere ich mich noch an das Online-Banking von 1998 oder so. Die Sache war übersichtlich, stabil und effektiv. Man hatte für die Überweisung ein graues Formular, ein paar weiße Eingabefelder, schwarze Schrift und einen roten eckigen Knopf zum Abschicken. So wie jeder vernünftige Mensch so etwas Programmieren würde, der einfach nur ein Papierformular ersetzen will damit er weniger Arbeit hat. Rufe ich heute ein Online-Banking-Formular auf, muss mein Gehirn erstmal zwischen knallgelben Icons den Weg zu den hellgrauen Strichen “EMPFÄNGER _____________________ ” und “IBAN _____________ ” finden. Wer denkt sich sowas aus. Die dynamischen Werbebanner links und rechts die mir irgendwelche Produkte aufschwatzen wollen lenken da auch nur ab. Schaltflächen sind nicht mehr eckig und etwas hervorgehoben, sondern in blassen Pastellfarben mit abgerundeten Ecken und kontrastarmer Beschriftung. Als ob die Bank jetzt ein Bildersuchspiel anbietet anstatt ein Überweisungsformular. Und dann hauen sie dir zwischendurch noch zwei Pop-Up-Slider von der Seite rein mit “KREDIT FÜR MACHER:INNEN” und “INVESTIERE JETZT IN ETF” wenn du gerade die IBAN abtippst. Zum Schließen dieser Slider musst du irgendwo ein hellgraues “X” in der Ecke suchen. Wenn du allerdings nicht genau triffst, dann landest du auf einer Seite mit Produktinfos die du nie haben wolltest… Am Ende kannst du nur noch hoffen und bangen, dass nach Eingabe der Freigabe-TAN kein technischer Fehler vorliegt: “Sorry, es gibt einen technischen Fehler, bitte probiere es später nochmal…”. Und irgendein tanzendes Warndreieck erscheint, aus dem Funken sprühen. Für bunte Bilder und gendergerechte Krüppelworte haben diese Leute immer Zeit und Energie. Anstatt sie ihre Abläufe und die Eingabeseiten optimieren. Dann könnten sie den Serverpark reduzieren und ein paar nutzlose Mitarbeiter rauswerfen.
Die Folge ist, dass du für so einen Vorgang doppelt so lang und dreimal so viele Klicks brauchst als noch vor zehn Jahren.
Auf diese Art von Fortschritt kann ich gerne verzichten.
Weniger ist mehr.